Möhrenernte 2014
Abfahrt morgens in Hamburg bei Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen. Nach 10 Jahren das erste Mal endlich wieder Möhrenernte. Hurra. Ein Jubiläum also! Doch diesmal ohne Kinder. Wir kommen einfach so, für den Hof, für die Möhren, für uns. In Kattendorf angekommen parken wir direkt am Hof und beschließen die letzte Etappe zu Fuß zu laufen. Dickes Schuhwerk und den Wollpullover für den Fall.
Wettervorhersagen trauen wir nicht mehr. Auf dem Weg zum Feld wird uns heiß und irgendwie läuft hier keiner, nur wir. Hinter einem Knick taucht endlich das Möhrenfeld auf. Uns grinsen parkende Autos von Schlauen entgegen. Ab aufs Feld. Da sind so viele Menschen (über 100) und Kinder und Kisten. Und Möhren. Großartig. Hallo Elisabeth!
Die Ernte beginnt mit Einrichten des mobilen Arbeitsplatzes: Eine Kiste dient als Hocker, in eine weitere Kiste werfen wir den Ausschuss für die Kälber und in die übrigen, guten Kisten legen wir mit System die köstlichen, gerade gewachsenen Möhren. Diese Arbeit erfüllt uns und ist schön, schön überschaubar. Man füllt Kiste um Kiste = Ergebnis. Der Ausschuss bleibt äußerst gering: mal eine tanzende Möhre mit drei-vier Beinen, seltener mit geschlitztem Bauch und ganz besonders selten, die gelbe Wildwuchsmöhre mit herbbitterem Geschmack. Ein verdrehtes Möhrenpaar, ganz eng umschlungen schmuggle ich in eine gute Kiste. Und Valentin hat ein Herz für die kleinen Möhren. So schicken wir Grüße vom Feld in die Food-Coops.
Und weshalb kommt man noch zur Ernte? Richtig, zum Quatschen. Im Redefluss treiben wir das Möhrenfeld auf und ab und die Zeit verfliegt im Sonnenschein. Schließlich haben wir uns zu Matthias vom Hof durchgequasselt und sitzen mit ihm in den Möhren. Doch halt, was fällt auf? Matthias sitzt nicht auf einer Kiste. Aha, er ist näher dran am Boden, der Natur. Drum will ich nicht von einer Plastikkiste runter quatschen und hock mich ebenfalls ins Feld. Sofort spüre ich die erdige Kühle von unten und schiebe mir Möhrengrün als Sitzkissen zurecht. Wir erfahren von einem Förderprogramm (Kolk), für das sich der Kattendorfer Hof beworben hat. Es werden so schmale Anbaustreifen für wechselnde Bepflanzung voraus-gesetzt, dass Matthias den Trecker mit System, sprich GPS gesteuert fährt. Aha.
Und dann gehen uns die Kisten aus und ich sehe wie liebevoll gestapelte, mit System verfüllte Möhrenkisten in riesige Container ausgeleert werden. So kann es kommen, denn nun zählt jede leere Kiste mehr. Wir wollen fertig werden, weil sich der Hunger mit der Essenglocke immer mehr Beachtung schafft. Bei dem Gedanken ans Essen zieht sich der Weg zurück zum Hof besonders lang. Äußerst pfiffig bemerke ich zu Matthias, je länger wir arbeiten, desto weniger müsse dann nach dem Mittag noch gemacht werden. Denn die Meisten würden nach dem Essen wohl vom Hof abfahren? Schmunzelnd teilt mir Matthias mit, dass sie in den letzten 10 Jahren dazugelernt haben. Das Essen kommt aufs Feld. Wie schlau.
Zeitgleich entdecke ich die Palette mit Bierbänken und Tischen und das weiße Auto mit Annette und dem Essen. Mein erstes Essen auf Rädern und ich noch voll mobil.
Als Valentin und ich vor den Herbstferien beschlossen, den 2.Termin der Möhrenernte im November wahrzunehmen, war Valentin erfreut über die Alternative und ich in Gedanken an nasskalte Erde etwas verhalten und skeptisch. Tja, unser 10 jähriges Jubiläum wird belohnt. Belohnt werden wir alle mit einem köstlichen Mahl: vier Suppen in riesigen Töpfen. Regional und saisonal und sehr lecker! Mit Brot und Butter. Zum Nachtisch Kaffee und Tee und Rosinenstuten und ich voll glücklich. Schnell finden alle ihr geeignetes Plätzchen. Nach dem ersten Suppenteller fällt mir ein, dass ich Fotos machen wollte. Ich komme in den Genuss die unterschiedlichsten Essgemeinschaften zu fotografieren. Wie man sieht. Pardon, hoffentlich ohne zu stören.
Beim Essen kommen wir mit Klaus ins Gespräch. Pfadfinderinnen seinen da in ihrem Wald. Als wir so nebenbei erzählen, dass die gerne des nachts Aktionen starten, wird Klaus hellhörig. Oh, es sei zunehmender Mond und Jagdsaison, lässt er uns wissen. Das sollten wir den Mädchen sagen.
Schon bemerkt, dass wir den zunehmenden Mond nachmittags sehen, wenn er gerade aufgeht und den abnehmenden Mond morgens, wenn er der Sonne weicht? Günstige Wetterlage ist hier vorausgesetzt.
Auf zum Pfadfinderlager. Das Essen ist beendet, alle sind gestärkt. Die Meisten gehen wieder zu den Möhren und Kisten, wir hinter Klaus zum Lagerplatz. Nicht auf Wegen, nein: Klaus läuft geradeaus. Über Zäune, unter Zäunen durch, manche gestachelt, über schattige Matschen, quer durch Waldestücke und vorbei an einer Wildschweinsuhle mit Malbaum. An dem schubbern sich die Schweine nach ihrem Matschbad die lästigen Parasiten ab. So sieht der arme Stamm auch aus. Klaus riecht an ihm und stellt so fest, dass dieser ein natürlicher Malbaum sei. Sonst könnten die Stämme mit Holzkohleteer bepinselt werden und Wildschweine anlockten. Hier spricht der Jäger. Weiter geradeaus über eine feuchte, hohe Wiese geht es in den Pfandfinderwald. Schwarze Zelte aus schwerem Stoff: Koten und Jurten, Gruppen, die Singen oder das Essen zubereiten. Friedlich beschäftigt. Um Plastikmüll zu verhindern, konnten die Pfadfinderinnen die Platzkosten für das Lager in Lebensmittel vom Kattendorfer Hof umtauschen. Prima Plan!
Klaus gibt klare Infos, welche Waldabschnitte ungefährlich sind und welche sie nicht betreten sollen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Im Bogen laufen wir Schutzengel wieder zurück zum Möhrenfeld.
Die Arbeit ist in der Zwischenzeit so gut wie getan. Die letzten Helfer stemmen die letzten Kisten auf den Hänger, während der Trecker langsam übers Feld fährt. Zufriedene Kinder lassen sich mit Tonnen von Möhren auf dem Hänger schaukeln. Ach Bullerbü. Ach Kattendorf. Sonnenuntergang in Pastell, der zunehmende Mond steht halbhoch am Himmel.
Jagdsaison, na klar.
14 Tonnen Möhren hat die Ernte eingebracht. 20 waren es letztes Jahr.
Und vor 10 Jahren? Alles schon vergessen und verdaut.
Wir sagen Tschüß und laufen gemütlich zum Hof zurück. Vor der Käserei hat Annette eine riesige Spülwanne aufgebockt. Sie macht gut gelaunt den unerlässlichen Abschluss eines jeden Mahls. Und weil wir nicht gehen wollen, nicht gehen sollen, laufen wir wieder hinter Klaus, diesmal in die Lagerstätten seiner Käserei, um neuen Käse zu beschnuppern und zu bewundern. Mich entrückt der geniale Geruch der Salzkammer, den ich so tief wie möglich in die Lungen ziehe. Ein schöner Abschluss.
Jetzt schnell mit dem Auto auf und nach Hause: ein warmes Abendessen mit den Kindern ist das Ziel. Und weil die Vorfreude doch die schönste ist, geraten wir geradewegs in einen Stau. Wir reagieren hektisch, verlassen sofort die Autobahn. Über Umleitungen stauen wir uns ohne Navi mittels Karte durch die Nacht. Wären wir doch mit dem Fahrrad und den Öffentlichen gekommen. Fast zwei Stunden hält unsere Vorfreude an. Sie äußert sich in „Mist, das konnte ich so schnell ohne Brille nicht lesen!“ oder „Wir müssen doch in Richtung Süden, das ist Norden!“ und endet beim Einbiegen in die Bernstorffstraße.
Was für ein Tag!
Text + Bild = Grisella
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