Die Frage: „Was esse ich heute?“ stellen sich wahrscheinlich viele Menschen jeden Tag, doch ihre Antworten sind wohl sehr unterschiedlich [bewusst]… Tütensuppe, frittierte Spinnen, Tomaten aus dem Garten, …gar nichts. Wie viele wissen wirklich, was sie essen und nicht nur wie es aussieht? Und wie viele würden es gerne wissen?
Ernährung und Landwirtschaft sind Weltthemen, die wie vieles in den letzten Jahren zunehmend globaler gesehen und praktiziert werden. Tonnenweise Soja aus Südamerika werden Futter für europäische Kühe deren Milch dann als Pulver nach China verschifft wird, damit die daraus Bonbons machen können. Ist das nicht verrückt?
Ich glaube nicht, dass ich mir diese Fragen in meinem Freiwilligenjahr auf der biologisch bewirtschafteten Annapurna Farm in Südindien beantworten werde. Doch damit beschäftigen kann ich mich und mir ein bisschen bewusst machen, wie viel ich eigentlich nicht weiß.
Noch vor einiger Zeit habe ich eine Banane gegessen, mich geärgert weil ich diese Fusselfäden extra abpuhlen musste und mich im nächsten Satz über Kinder beschwert, die denken, dass die Milch aus dem Supermarkt kommt.
Aber wusstet ihr, dass Bananen mit der Krümmung nach oben wachsen?
Man außerdem die (wunderschöne) Blüte und den Stamm essen kann, und die Blätter als Teller benutzt werden? Ich nicht.
Nach den ersten Wochen völliger Reizüberflutung, in denen ich mich oft nur wie Obelix gegenüber den Römern ausdrücken konnte („die spinnen, die Inder“), habe ich mich nun langsam eingelebt. Meine Füße bekommen die dicke Hornhaut, die man braucht, wenn man immer barfuß läuft und ich sehe ein, dass es gegen Sonne, Mücken und Blicke auf meine andersfarbige Haut wirklich sinnvoller ist, bei 35°C lange Kleidung zu tragen. Nur mit der tamilischen Sprache klappt es noch nicht fließend. Jetzt zur Monsunzeit ist die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass meine Klamotten schimmeln und die Bücher wellig werden.
Und trotzdem ist es richtig schön hier.
Ich fühle mich freier, es gibt so viel zu Lernen und zu Erleben.
Vieles ist anders, als das, was ich bisher unbewusst selbstverständlich angenommen habe.
Nur die Tomaten kommen immer noch aus Spanien. 65 Rupien das Kilo.
Ich glaube, dass man an dem Umgang (oder Nichtumgang) der Menschen mit Land und Vieh viel über sie lernen kann.
Am berühmtesten sind wohl die Kühe. Eine gegensätzlichere Haltung zu Großställen mit Melkkarussell und automatischer Futterverteilung kann man sich wohl nicht vorstellen.
Jeder, der in den umliegenden Dörfern hier etwas auf sich hält, hat eine Kuh.
Morgens bekommt sie vielleicht etwas Reis von gestern, wird vor der Haustür gemolken (katastrophale Milchleistung) und darf dann mit ihrem Kalb dort hingehen wo sie will; vielleicht zum Gemüsehändler, der immer die Reste um die Ecke wirft, vielleicht durch das Loch im Zaun nach Annapurna, wo es richtig schönes Bio-Cowgrass gibt. Manche bevorzugen auch die Tageszeitung vom Nachbarn. Ist auch Zellulose. Abends gibt es eine Zeit, zu der alle Kühe, Ziegen und Schafe gleichzeitig nach Hause gehen oder getrieben werden. Dann sollte man besser nicht unterwegs sein, was mir natürlich immer erst dann auffällt, wenn ich mich auf meinem Motorrad im schönsten Kuhslalom befinde. Noch habe ich glücklicherweise keine umgefahren. Ich staune jedes Mal über die unergründliche Gelassenheit, die diese Tiere in sich tragen. Es bringt einfach nichts, sich aufzuregen.
Die Ziegen und Schafe werden gehütet. Mir wurde erklärt, dass man sie zu einfach mitnehmen und klauen könnte. Bei den Kühen jedoch weiß jeder, wem welche gehört.
Der Hirte geht morgens von Haus zu Haus, sammelt die Tiere ein und hütet sie dann auf dem Niemandsland zwischen den Dörfern. Früher waren Reisfelder, wo jetzt trockene Büsche und viel Müll sind. Abends bringt er sie zurück und bekommt ein paar Rupien dafür. Viele Menschen haben auch ein paar Hühner ums Haus. Hunde sind überall. Insgesamt ist das Leben in den Straßen sehr geschäftig. Doch immer weniger Menschen möchten mit der Mamfi (traditionelles Schaufelwerkzeug) in der trockenen Erde graben, wenn man anders Geld verdienen kann. Es werden Cashcrops wie Casuarina für Feuerholz angebaut, um die man sich nicht kümmern muss.
In der Umgebung wird viel Land zur Spekulation aufgekauft;
Zaun drum, golden verziertes Tor an den Eingang und Warten.
Natürlich kann ich nur meine Erfahrungen teilen und nicht die Situation in Indien beschreiben. Es ist so ein unglaublich großes und vielfältiges Land – man kann schwer glauben, dass es nur eines ist.
Doch in der Zeitung sind viele Artikel über „Farmers´ Suicides“, unregelmäßigen Monsun und Affen, die die Feldfrüchte zerstören. Hier sind es vor allem die Pfauen, die viel Schaden auf den Feldern machen auch wenn sie schön aussehen. Seit der „grünen Revolution“ ist der Einsatz von Pest-/ und Herbiziden stark gestiegen, das Grundwasser hat hohe Phosphat- und Stickstoffwerte. Der Pegel sinkt und es wird tiefer gebohrt. Früher wurden hier viele „dry land crops“ wie Waragu und Kudrawalli angebaut, welche mit weniger Wasser auskommen als der weiße Reis, doch der ist mehr gefragt.
Was genau macht uns Menschen so hungrig auf die Sachen, die uns nicht gut tun?
Damit muss wohl jeder bei sich selbst anfangen.
Was esse ich heute? ..vielleicht besser Toast als Reis.
Carla Tenthoff
Hier noch ein paar Fakten:
• Indien ist der größte Bananen-, Kokosnuss-, Tee- und Milchproduzent /zweitgrößter Reis-, Weizen-, Obst-, Gemüse- und Zuckerproduzent der Welt
• Es hat den größten Rinder-/ Kuhbestand, doch wer eine Kuh schlachtet, macht sich teilweise strafbar
• Knapp 60% der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft erwerbstätig, doch der landwirtschaftliche Sektor trägt lediglich 17% zum BIP bei
• Ca. 60 Millionen Kinder in Indien sind unterernährt
• Gleichzeitig ist Indien der größte Lebensmittelabfallproduzent der Welt
Die Annapurna Farm liegt im Südosten Indiens, in Tamil Nadu. Sie ist die größte Farm Aurovilles, einem internationalen/alternativen Stadtprojekt nach der Gesellschaftsphilosophie von Sri Aurobindo. Auf den ca. 50ha Land gibt es kleine Wälder und Anbauflächen für Reis, lokale Hirsesorten, Ölsaaten, Kokosnüsse, Papayas und Bananen. Diese stehen in einer Fruchtfolge mit Gründüngung und verschiedenem Grünfutter für die aus 21 Tieren bestehenden Kuhherde. Die indigene Zeburasse Gyr hat zwar eine geringere Milchleistung, ist aber sehr gut an das Klima angepasst. Zwei mal täglich wird von Hand gemolken und die Milch verkauft oder zu Joghurt und Käse verarbeitet.
Auf dem Hof arbeiten zwischen 20 und 40 Menschen, je nach Jahreszeit und anstehender Arbeit. Die Ackerbausaison ist zwischen November und Februar und vom Monsun abhängig, welcher innerhalb weniger Wochen eineinhalb mal so viel Niederschlag bringt, wie bei uns in einem Jahr. Im Sommer steigen die Temperaturen teilweise über 40°C.
Stephan Becker meint
Hallo Carla,
vielen Dank für Deinen sehr interessanten Bericht. Ich hätte nicht gedacht, dass Indien ein so großer Agrarproduzent ist. Das mit den Tomaten ist ja der Hammer.
Wegen des knapper werdenden Wassers: Dagegen ist ein Kraut gewachsen oder besser sind viele Pflanzen gewachsen: Bäume.
Hier wird eine Theorie zweier russischer Physiker beschrieben, die der Sache mit den Wäldern und dem Wasserkreislauf im Jahr 2006 näher auf den Grund gegangen sind:
New meteorological theory argues that the world’s forests are rainmakers
1st February 2012, Mongabay.com, Jeremy Hance
Hier sind die Zusammenhänge zwischen Wäldern und Regen in einem Vortrag erklärt:
Tom Goreau, ‚The Tijuca Story – Reforestation and the Biotic Pump‘, October 17th
https://www.youtube.com/watch?v=L3-DuUtXifM.mp4
Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung des Wälder-machen-Regen-Prinzips mitten in der kolumbianischen Savanne:
Bäume als Regenmacher in der Steppe
http://www.ithaka-journal.net/baume-als-regenmacher-in-der-wuste-terra-preta-in-kolumbien
Und zum Schluss ein Vortrag eines us-amerikanischen Landwirts, der den konventionellen Betrieb seiner Schwiegereltern innerhalb von 20 Jahren, nach etlichen Fehlschlägen komplett auf biologische Bewirtschaftung umgestellt hat und jetzt deutlich höhere Erträge als seine Nachbarn einfährt bei geringeren Kosten:
Gabe Brown – Keys To Building a Healthy Soil
https://www.youtube.com/watch?v=9yPjoh9YJMk.mp4
Kennt man auf der Annapurna Farm den Tricke mit den Enten und den Reisfeldern von Fukuoka?
Viele Grüße aus der nasskalten Eifel
Stephan
Carla meint
Hallo Stephan,
vielen Dank für die interessanten Links, schönes Thema.
Mit das erste, was die Menschen von Auroville nach dessen Gündung gemacht haben, war ebenfalls Bäume zu pflanzen. Jetzt nach fast 50 Jahren ist es ein unglaublich vielfältiger und schöner Wald, dass es doppelt traurig ist, die vielen kargen und überweideten Flächen rundherum zu sehen.
Fukuokas „Reisentenprinzip“ hört sich spannend an! Das muss ich mal vorschlagen.
(Noch gibt es auch indische Tomaten, aber wenn es heißer wird wollen viele Menschen trotzdem welche in den Chutneys haben..)
Liebe Grüße aus der Sonne (36°C sind es schon..)
Carla