Nur eine halbe Stunde Autofahrt, schon sind wir in einer anderen Welt. Die Stadt liegt hinter und bei erstaunlich gutem Wetter das Tagewerk vor uns – Möhren soweit das Auge reicht. In unzähligen Reihen stehen sie da, jede von ihnen schnurgerade bestimmt 300 Meter lang bis zum anderen Ende des Ackers. Da denkst Du erstmal: „Das wird nichts, viel zu viel!“ Doch nach und nach füllt sich das Feld mit vielen fleißigen Helfern und sobald die sich ans Werk gemacht haben, vergeht die Zeit wie im Flug und die Reihen lichten sich schneller als gedacht.
Denn Schwerstarbeit ist das nicht, da der Boden zuvor mit dem Traktor aufgelockert wurde, sodass selbst die vielen Kinder die Möhren am Grün ohne großen Kraftaufwand aus der Erde ziehen können. Und allein das ist schon ein Genuss, denn in dem Moment steigt einem nicht nur der Geruch feuchter Erde in die Nase, sondern auch der süßliche Duft der leuchtend orangen Möhren ist ganz köstlich. Die werden zunächst in Abständen von zwei, drei Metern auf kleine Haufen gepackt und erst später, im zweiten Arbeitsschritt, geht es ihnen so richtig an den Kragen. Ein kurzer Griff und das Grün ist abgedreht, nur der gröbste Dreck vorsichtig entfernt. So füllt Möhre um Möhre eine nach der anderen Kiste und später eine ganze Wagenladung.
In diesem Jahr ist die Ernte etwas schlechter.
Viele Möhren sind der Länge nach aufgeplatzt, einige beginnen von innen zu faulen. Elisabeth hat dafür eine Begründung parat, die verblüfft: Und zwar fegte an dem Tag, als das erste Grün der Möhren aus dem Erdreich kam, ein starker Wind übers Land. Das haben viele der damals noch winzigen Pflanzen nicht verkraftet und waren anfällig für den Befall durch Schädlinge. Freude bereitet das aber dennoch, zwar nicht Elisabeth als Gärtnerin oder uns beim Kochen. Für die größten Feinschmecker auf dem Hof allerdings werden gerade diese Möhren ein wahrer Genuss sein – als handverlesene „Futtermöhren“ wandern sie in separate Kisten und werden später im Stall für Begeisterung unter den Schweinen sorgen.
Uns Menschen dagegen läuft das Wasser schon gegen Mittag direkt auf dem Acker im Mund zusammen:
Als dort Tische und Bänke aufgestellt werden, drei verschiedene Suppen unter freiem Himmel aus den Töpfen dampfen, frisches Vollkornbrot und Rosinenstuten, dazu hofeigene Butter und Milch zur Stärkung serviert werden. Der Appetit ist groß, die Stimmung bestens – es wird geplaudert, es wird gelacht und mein Freund Marc stellt wieder einmal fest, wieviel besser Essen schmeckt, wenn man es draußen im Freien zu sich nimmt. Da hat er Recht.
Wurzeln, Möhren, Karotten
– während wir Erwachsenen uns da nicht ganz einig sind, wie dieses leckere Gemüse nun genannt wird, ist das für die 4-jährige Carla glasklar: „Kartoffeln sind das, orange Kartoffeln!“ Das ist allerdings auch vorerst das letzte, was ich von Carla mitbekomme. Sie verschwindet bald darauf in einer riesigen Kinderschar, die es sich oben auf dem Anhänger bei den knapp drei Tonnen Tagesernte gemütlich gemacht hat und dort eine Menge Spaß hat. Noch größer wird der Spaß, als Hänger und Trecker im weichen Boden stecken bleiben. Denn als Mathias den großen Trecker vor den kleinen hängt und das lange Gespann mit hunderten Pferdestärken wieder auf die rechte Bahn bringt, stehen sogar den coolen Papas aus der Stadt mitten auf dem Acker die Münder offen und das Johlen der Kinder erreicht seinen Höhepunkt.
Carla samt Kinderschar begegnet uns erst wieder, als wir nach Feierabend gemeinsam, allesamt erschöpft und gerade deshalb hochzufrieden, das Feld in Richtung Hof verlassen. Dort haben Stadt- und Landkinder schon Freundschaften fürs Leben – oder zumindest für den Moment – geschlossen und machen uns mit anderen Hofbewohnern bekannt. Dem 360 Kilo schweren Eber Hector zum Beispiel, bei dessen Anblick es einem glatt den Atem verschlägt. Groß wie eine Kuh liegt er da, und ist doch ein Schwein. Oder das gute Dutzend frischer Ferkel, die ihre neugierigen, rosa Nasen durch das Gatter stecken und dabei alles andere als ängstlich sind. Und auch das erst in der vergangenen Nacht geborene Kälbchen, das noch ganz staksig neben seiner Mutter im Stroh steht und uns mit großen schwarzen Augen aus seinem schon (oder noch) wunderschönen Fell ansieht. Der Abschied vom Kattendorfer Hof fällt Kind und Kegel dementsprechend schwer –
schön war es auch dieses Mal und eins ist klar: Wir alle kommen wieder, keine Frage!
Übrigens: Am Abend des ersten Tages erzählte mir nach getaner Arbeit ein Freund, dass Möhren bei Erschütterungen ihren Stoffwechsel verändern und mehr Bitterstoffe produzieren. Werden sie bei der Ernte und auch später noch beim Transport weniger stark geschüttelt, behalten Möhren dagegen ihre natürliche Süße. Auch das ist vermutlich ein Grund, weshalb die Möhren vom Kattendorfer Hof besonders gut schmecken. Sie haben eine schonende Ernte per Hand und keine langen Transportwege hinter sich. Dieses Phänomen habe ich am zweiten Erntetag noch einmal besonders beherzigt und sie ganz sanft aus dem Boden in die Kisten befördert – lasst es Euch also schmecken und macht das nächste Mal einfach mit. Die Möhrenernte in Kattendorf ist für Groß wie Klein ein ganz besonderes Erlebnis und wird auf vielerlei Art wirklich großartig belohnt.
Cord Hollender
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