Nachhaltigkeit messen

Kann man Nachhaltigkeit messen?

"Nachhaltigkeit messen" - ein solcher Gedanke erscheint vielen unnötig, denn zumindest in Worten ist längst fast alles schon "nachhaltig" geworden. Wir können „nachhaltig“ einkaufen, sämtliche Lebensmittel sind angeblich „nachhaltig“ erzeugt und verarbeitet worden. In den Urlaub fahren bzw. fliegen wir „nachhaltig“, wo es Hotels gibt, die komplett „nachhaltig“ sind, weil man sich überall CO2-Kompensation erkaufen kann. Denn selbstverständlich sind angeblich auch alle Maßnahmen, mit denen das Klima wieder stabilisiert werden soll, per se schon „nachhaltig“.

Was verstehen wir unter Nachhaltigkeit?

Merkwürdig ist nur, dass nirgendwo begründet wird, warum diese angeblich „nachhaltigen“ Produkte oder Verhaltensweisen diese Bewertung überhaupt verdienen. Was müsste man unter „nachhaltig“ verstehen? Wir benötigen ein objektives Kriterium für die Beurteilung und Messung von Nachhaltigkeit.

Entscheidend ist erst einmal, dass für ein solches Kriterium nicht die Interessen der Menschen (und schon gar nicht spezieller Gruppen von Menschen) als Ausgangspunkt genommen werden dürfen. Die bekannte Brundtland-Definition [1] ist rein auf den Menschen bezogen. Sie übersieht, dass die Menschheit nur entstehen, überleben und sich entwickeln, weil die Bedingungen auf der Erde es ermöglichten – diese Bedingungen waren und sind funktionierende Ökosysteme.

CO2-Fußabdruck - keine ausreichende Beurteilung für das Messen von Nachhaltigkeit

Ebenso wichtig für ein Nachhaltigkeits-Kriterium ist es, dass wir nicht angesichts des so deutlichen Klimawandels nur noch auf das Kohlendioxid schauen und den „CO2-Fußabdruck“ für eine ausreichende Beurteilung von Nachhaltigkeit halten. So sagte Katrin Böhning-Gaese, die Leiterin des Forschungszentrums für Klima und Biodiversität am Senckenberg-Naturkundemuseum in Frankfurt am Main, sehr richtig:

„Der Klimawandel entscheidet darüber, wie wir leben, der Artenschwund entscheidet darüber, ob wir leben.“[2]

Schauen wir also als erstes auf den Artenschwund. Wir als Kattendorfer Hof konzentrieren uns dazu auf die Landwirtschaft, hier können wir direkt etwas für die Artenvielfalt tun. Im Februar erschien eine Studie, die zeigte: Pestizide schädigen auch viele Arten, die gar nicht das Ziel des jeweiligen Pestizids sind und angeblich nicht beeinträchtigt werden.[3] So schreibt die österreichische Tageszeitung „Der Standard“:

„Pestizide haben schädliche Auswirkungen auf hunderte Arten von Mikroben, Pilzen, Pflanzen, Insekten, Fischen, Vögeln und Säugetieren. Das macht sie zu einem der wesentlichen Treiber des globalen Rückgangs der Biodiversität.“ [3] Die im dortigen Artikel erwähnte „Defra-Initiative für nachhaltige Landwirtschaft“ bezahlt Landwirte dafür, den Einsatz von Insektiziden zu reduzieren. Als ob das ausreicht, um nachhaltig Landwirtschaft zu betreiben!

In direktem Zusammenhang mit dem Kattendorfer Hof wäre dies die Konsequenz:

Nachhaltigkeit messen mit dem Konzept der Entropie

Nun gibt es viel Kritik seitens umweltbewusster und besonders seitens klimabesorgter Menschen an der Landwirtschaft, auch an ökologischer Landwirtschaft. Generell sei Landwirtschaft mitverantwortlich für CO2-Emission, die einen mehr, die anderen weniger, besonders aber die Milchviehhaltung wegen des Methanausstoßes der wiederkäuenden Kühe.

Deshalb müsse auf jeden Fall die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wieder reduziert werden, es reiche nicht, weniger CO2 zu emittieren, sondern mit technologischen Maßnahmen sogar das Klimagas wieder aus der Luft herauszuholen (DAC, CCS) und sogar auch chemisch zu nutzen (CCU).

Sind solche Maßnahmen nachhaltig? Wie könnte man das untersuchen und Nachhaltigkeit messen, bevor solche Verfahren großtechnisch angewendet werden und vielleicht irreparable Schäden anrichten, so wie die Pestizide, die jahrzehntelang für „sehr gezielt wirksam“ galten, es aber nachweislich doch nicht sind?

Dafür entwickelte Dr. Bernhard Weßling ein neuartiges Konzept: „Entropie“ kann ein allgemein anwendbares Kriterium für Nachhaltigkeit sein, zudem objektiv und nachprüfbar, zumindest teilweise quantitativ. Er ist im Hauptberuf Chemiker und Forscher, im Nebenberuf Investor und Mit-Geschäftsführer des Kattendorfer Hofs.

In diesem Gastbeitrag [4] erläutert er einfach verständlich, was „Entropie“ ist und warum und wie man sie als Kriterium für Nachhaltigkeit einsetzen sollte und kann. Und so untersucht er beispielhaft die technologischen Maßnahmen, mit denen CO2 wieder aus der Luft herausgeholt werden soll. Es stellt sich heraus: DAC, CCS, CCU, all das ist „alles andere als nachhaltig“.[5] Sollten diese Maßnahmen tatsächlich über die derzeitigen Versuche hinausgehend industriell praktiziert werden, sind massive Umweltschäden nicht zu vermeiden.

"Entropie“ kann ein allgemein anwendbares Kriterium für Nachhaltigkeit sein, zudem objektiv und nachprüfbar, zumindest teilweise quantitativ. "

Bernhard Wessling

Ist biologische Landwirtschaft nachhaltig und messbar?

Bleibt die Frage, ob biologische Landwirtschaft nachhaltig ist. Auch das hat er untersucht, dazu wird es bald hier einen Auszug / Vorabdruck aus einem der Kapitel seines neues Buches geben: „Was für ein Zufall! Zum Ursprung von Unvorhersehbarkeit, Komplexität, Krisen und Zeit“.[6] Es gibt allerdings auch schon eine andere Berechnung, nämlich in Geldwert: Wie viel Euro sind die ökologischen Nachhaltigkeitsleistungen des Kattendorfer Hofes jährlich wert?

Dafür entwickelte die Regionalwert AG ein Berechnungssystem, das wir 2023 für den Hof haben anwenden lassen. Danach sind die jährlichen Leistungen, von denen wir über Fördermittel nur einen geringen Teil bezahlt bekommen, über 800.000 € wert! [7] Wie man an den Erläuterungen hierzu [8] sehen kann, sind erhebliche ökologische Leistungen wie z.B. sauberes Grundwasser oder Artenvielfalt dabei nicht einmal erfasst. Das kann das Kriterium „Entropie“ leisten, auch wenn es nicht einfach ist.


[1]    „1. Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ siehe https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/brundtland_report_563.htm; (dort, unter „Definitionen“, wird klar, wie schwammig Nachhaltigkeit verstanden wird.)

[2]https://www.nzz.ch/wissenschaft/eu-regelt-renaturierung-per-gesetz-das-hilft-auch-dem-klima-zeigen-beispiele-ld.1839846

[3]https://www.derstandard.de/story/3000000257164/pestizide-schaedigen-auch-viele-unbeteiligte-arten; der Link zur Studie „Pesticides have negative effects on non-target organisms“: http://dx.doi.org/10.1038/s41467-025-56732-x

[4]https://www.bernhard-wessling.com/gastbeitrag_nachhaltige_illusion

[5]https://www.bernhard-wessling.com/nachhaltigkeit_und_entropie

[6]https://www.bernhard-wessling.com/zufall_2-_auflage_vorwort, das Buch erscheint bei SpringerNature voraussichtlich Ende März
[7]https://www.bernhard-wessling.com/biodynamic-farming,
https://www.bernhard-wessling.com/wp-content/uploads/2024/01/Pressemitteilung-oekolog-Leistungsrechng-Kattendorfer-Hof.pdf und
[8]https://www.bernhard-wessling.com/wp-content/uploads/2024/01/Erlaeuterungen-zur-oekolog-Leistungsrechnung.pdf