Das Vogeljahr in Neverstaven
„Seit Demeter hier ist, ist hier viel mehr los!“ sagt Tony, er lebt seit mehr als 20 Jahren auf Gut Neverstaven. „Viel mehr los“, damit ist insbesondere die hiesige Tierwelt gemeint. Nun, das kann ich nicht beurteilen, da ich jetzt erst gut ein Jahr hier wohnen darf, aber los ist auf jeden Fall mächtig was!
Ein gutes Jahr bin ich jetzt in den Genuss gekommen, hier leben zu können. Eine Zeit reich an Ereignissen, die, blickt man in die weite Welt, nur wenig erfreulich sind. Zoomt man auf die lokalen Begebenheiten, ist die Welt deutlich heiler.

Wer das letzte Jahresheft gelesen hat, wird sich vielleicht an meine anstehende Freude und die Neugier erinnern, was das erste komplette Vogeljahr auf Neverstaven wohl so mit sich bringen wird. Neben den Klassikern wie Amsel, Star, Singdrossel, Zaunkönig, Blau- und Kohlmeise, Zilpzalp, Stieglitz, Mehl- und Rauchschwalben u.v.a.m. waren Grauschnäpper und Hausrotschwanz auch wieder als Brutgäste aktiv. Bluthänflinge, früher ein allgegenwärtiger Vogel in unserer Feldmark, heute fast schon eine Rarität, konnten wir ebenfalls reichlich beobachten: das Weibchen bei der Materialsammlung für den Nestbau, begleitet vom fröhlichen Gesang des schön gefärbten Männchens.
Familie Neuntöter zog wieder mindestens drei Jungvögel groß, wobei ich zum Start der Brutsaison schon die Hoffnung auf zwei Brutpaare hatte: im Mai sah ich mehrere Male zwei Männchen am Rande unserer Gemüsefelder südlich des Guts. Offenbar hat sich aber ein Brutpaar durchgesetzt und das Revier für sich alleine beansprucht. Ebenda brütete auch ein Schwarzkehl- sowie mindestens ein Schafstelzenpärchen, die Feldlerchen auf unseren Grün- und Ackerflächen konnte ich gar nicht zählen, in der Spitze hab‘ ich 40 Tiere geschätzt.

Allesamt sind sie auf Insekten als Nahrung für sich und für ihre Jungen angewiesen. Wenn sie in solch vergleichsweise hoher Dichte vorkommen, heißt das, dass auch reichlich Insekten vorhanden sein müssen. Mit Lukas haben wir gegen Ende des Sommers einen Streifzug durch die Gemüsefelder gemacht und geschaut, was denn alles an Krabbeltieren zu finden ist. Die Vielfalt an verschiedenen Arten (= Diversität) sowie die Anzahl an einzelnen Tieren (= Abundanz) waren schon beeindruckend und sind nur möglich, wenn ohne Pestizide gearbeitet wird. Im kommenden Jahr schaffen wir hoffentlich weiterer solcher Streifzüge, um einen noch besseren Überblick über die Vielfalt der für das gesamte Ökosystem so wichtigen Tiergruppe zu bekommen. Dann soll’s auch nach Kattendorf in Julias Gemüsebeete gehen, dort fanden die Gärtnerinnen in diesem Sommer Raupen des im Norden doch eher seltenen Schwalbenschwanzes, einem sehr schönen Schmetterling.
Es verschafft mir große Zufriedenheit, dass wir mit unserer Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, die Vielfalt, die die Erde braucht, erhalten und fördern. Insbesondere Euch allen möchte ich herzlich danken, dass Ihr mit Eurer Entscheidung, in der Region biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel zu beziehen, dies alles ermöglicht und unterstützt! Die Veränderung – hier sind wir wieder – beginnt im Kleinen (wobei wir so klein ja gar nicht sind ;-))
Jetzt aber ist wieder die Zeit der Durchzügler, die in großer Zahl auf unseren Äckern und Wiesen zwischen den Bullen Station machen. Lukas mit seinem Team schützt unser Gemüse durch sogenannte Kulturschutznetze. Auf diesen habe ich Ende September in der Spitze, neben einigen Hausrotschwänzen, Schwarz- und Braunkehlchen, an die 60 Bachstelzen beim Picken von Insekten zählen können! Ohne diese Stärkung würden es die kleinen Piepmätze nicht in ihre Winterquartiere im Süden schaffen.

Es gibt aber nicht nur reichlich Insekten, auch die Eulen und Greife kommen hier auf ihre Kosten bzw. finden hier ihre Nahrung. Uhu und Waldkauz sind regelmäßig zu hören, Wander- und Turmfalke, Sperber und Habicht, Rohr- und Kornweihe sowie Mäusebussard und Rotmilan zeigen sich eher auf dem Ansitz, am Himmel oder durch Spuren von Rupfungen oder Gewöllen. Ein Hinweis, dass auch ihnen, weiter oben in der Nahrungskette stehend, genügend Fressbares zur Verfügung steht.
Ein Highlight in diesem Vogeljahr war der Zug der Greife: eines schönen Tages wollte ich kurz was in den Briefkasten stecken. Der kurze Blick zum Himmel ließ einen großen Vogel erahnen, schnell rannte ich zurück in die Wohnung und holte mein Fernglas hervor. Es sollte sich lohnen: ein adulter Seeadler nutzte gemeinsam mit 11 Wespenbussarden und einem Sperber die Thermik über dem Gut, letztere auf ihrem Weg in den Süden, der Seeadler zeigt sich hier immer mal wieder. Auch wenn die genannten Vögel ihren Lebensmittelpunkt nicht auf dem Gut haben, so erfreut es mich als Vogelfreund dennoch, sie in solcher Zahl am Himmel zu sehen!
Meine Daten habe ich wieder fleißig im Online-Portal www.ornitho.de gemeldet. So habe ich in den letzten 15 Monaten knapp 3.000 Beobachtungen mit um die 120 verschiedene Arten auf dem bzw. ums Gut festgestellt, einige nur überfliegend, einige auf dem Durchzug unsere Felder als Nahrungsquelle nutzend und kraft tankend, aber viele auch mit festem Bezug zur Umgebung, also als Brutvogel bzw. stationärer Wintergast hier. Deshalb nochmals die Einladung an alle Interessierten: Wer mitmachen möchte, kann sich dort einfach anmelden und somit zu einem umfassenderen Bild über Vorkommen und Bestandsentwicklungen unserer Vogelwelt beitragen.
Beobachtet und aufgeschrieben von Marc Török